Observationen, wie sie das neue Sozialversicherungsgesetz (ATSG) vorsieht, stellen schwere Eingriffe in ein so grundlegendes Recht wie das auf Privatsphäre dar. Deshalb ist es unerlässlich, dass das Parlament eine gesetzliche Grundlage erarbeitet, die keinen Zweifel in ihrer Auslegung aufkommen lässt. Der Disput zwischen Befürwortern und Gegnern der Vorlage zeigt aber eindeutig, dass dem nicht so ist. Den Unterstützern sei auf keinen Fall fehlende fachliche Kenntnis unterstellt. Es macht lediglich stutzig, wenn mehrere juristische Experten (z.B. Professor Markus Schefer, Universität Basel) eine unklare Formulierung – notabene in zentralen Punkten des Gesetzestextes (von wo aus wohin überwacht werden darf) – monieren. Überdies stimmt der Umstand, dass Sozialversicherungen, allen voran die Suva, sich mit einem Brief an die zuständigen Kommissionsmitglieder gewendet haben, um diese gegen anfängliche Bedenken zu überzeugen, einem Richtervorbehalt (Observationen vorgängig von einem Gericht genehmigen zu lassen) abzusagen, nicht zuversichtlicher. Die Kehrtwende vieler Volksvertreter verwundert.

Und ja, Pinocchio-Berset ist überzeichnet – für meinen Geschmack ein wenig polemisch. Dennoch ist nicht verständlich, warum man im Abstimmungskampf vorgibt, es sei ganz klar, dass Observationen ins Wohn- und/oder Schlafzimmer nicht gestattet sind. Dies gehe aus der Rechtspraxis, also älteren Bespitzelungen, hervor. Dass diese eine andere juristische Grundlage hatten, sei dahingestellt. Jedoch steht das etwas schief in der Landschaft, wenn der Gesetzestext von einem Ort spricht, «der von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar ist». Warum hat der Gesetzgeber dann den Text der Strafprozessordnung (StPO), mit welcher Strafbehörden wie die Polizei arbeiten, nicht eins-zu-eins übernommen, will er doch angeblich von seiner obigen Ergänzung (die Passage bezüglich frei einsehbaren Ortes ist in Art. 282 Abs. 1 StPO nicht enthalten) nicht Gebrauch machen? Texte sollte man schliesslich so schreiben, wie sie gemeint sind – nicht meinen, wie sie nicht geschrieben sind. Wer den schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre als notwendiges Übel sieht, ihn aber klar und unmissverständlich im Gesetz verankert haben will, stimme am 25. November bitte «nein» zum ATSG.